Border Horizons

Retour, Reportage
Wurde ich gefragt, woran ich gerade arbeite, habe ich das Projekt immer etwas zögernd mit „Europa“ betitelt, und es folgten dann direkt die Einschränkungen, denn was sagt das Wort schon aus – selbst die mögliche Einengung, die „Grenzen Europas“ brachte nur wieder neue Einschränkungen mit sich. Was ich vorhatte, war fragmentarisch angelegt und ging auf eine subjektive Auswahl zurück. Zwischendurch schien mir als Arbeitstitel „Übergangsorte in Europa“ geeignet. Da ich aber, nach ein paar Reisen, die Grenzen (fast) nie tatsächlich überschritten habe, sondern immer aus sicherem, wie ich das dann nannte, „Schengen-Abstand“ auf die Grenzen, die Flüsse, die Zäune, die Grenzstationen blickte, bzw. fotografierte, befand ich mich vielleicht physisch in so einem Übergangsort und war doch genauso weit davon entfernt.

Ich bin ohnehin immer nur Westeuropäerin gewesen, habe immer Respekt vor dem „Eisernen Vorhang“ gehabt und bin nun durch die politischen und territorialen Verschiebungen in Europa auch nur zur „Schengen-Europäerin“ geworden. Ich wollte mit meinem Projekt nicht bestimmen, was Europa bedeutet, wo es anfängt, wo es endet und dachte auch eine Zeitlang an den Titel „Europa und die Türkei“, um einzuschliessen, dass es andererseits in diesem Fall keine festen Grenzen gibt und nahm damit auch Bezug auf eine noch nicht ausgestandene größere Querele über die Selbstdefinition der Europäischen Union. Der Rahmen erschien mir jedoch weiter zu eng und daraus wurde: „Europa, Türkei und Israel“. Ich holte noch einmal meine Israelfotos von 1995 heraus. Ich erinnerte mich an eine kuriose Begebenheit an einem Kontrollpunkt. Wir waren mit dem Fahrrad unterwegs und schon direkt hinter Jerusalem, auf der Strasse zum Toten Meer durch Kontrollen gekommen, dann immer bergab gefahren und erst auf der Strecke am Toten Meer entlang sah man schon von weitem wieder die rot-weiss angemalten Fässer, Plastikbarrikaden und Stop-Schilder, die einen Kontrollpunkt ankündigten. Die Straße wird auf nur eine Fahrbahn reduziert, so daß Fahrzeuge wegen möglichen Gegenverkehrs langsam fahren müssen. Wahrscheinlich waren diese Art Kontrollpunkte mobil, denn hier war nur ein Zelt und eine Bretterbude mit Bank zum Unterstellen bei Regen oder Sonne aufgestellt. Auf dem Foto, das damals entstand, stehen vier Soldaten herum, eher gelangweilt und entspannt – Zigarette rauchend mit Sonnenbrillen und Maschinengewehren – scheinbar ohne große Formvorschriften. Wie so oft wunderte man sich über unsere Fahrradtour und machte sich ein bißchen lustig – aber nichts desto trotz „back to business“: „Passport!?“

Wir zeigten unsere Pässe und ich fragte sie, ob ich sie fotografieren könnte. Sie hatten nichts dagegen, schmissen sich ein bißchen in Pose und machten weiter ihre Scherze. Ich machte zwei Fotos: der vorderste lacht, Arme in die Hüften gestützt, wirklich freundlich in die Kamera, der nächste steht etwas unbeholfen daneben, die beiden anderen sitzen lässig auf der Lehne der Bank. Die Sonne scheint und sie werfen lange Schatten im Sand. Wir packten unsere Pässe wieder ein, dann meine Kamera und fuhren weiter. Es gibt oft nur wenige erkennbare äußerliche Unterschiede zwischen mir, wenn ich reise und Fotos mache und einem Touristen. Genau wie der Tourist, reise ich, um Bilder zu sammeln und diese Bilder sind sowohl objektiv und materiell wie Ansichtskarten, Schnappschüsse und Videos, als auch subjektiv und immateriell wie Hoffnungen, Träume und Visionen. Ich habe auch, wie viele Touristen eine vage Vorstellung von dem, was ich sehen werde, lasse es aber immer wieder auf die wirkliche Begegnung ankommen. In diesem Wort, Tourist, steckte dann auch ein Teil meines endgültigen Titels: die Tour – und da ich immer wieder, ziemlich schnell, auch zum Ausgangspunkt zurückkehrte, wurde daraus: Retour.

Eine Reise hat immer auch eine Grenze. War die Entscheidung für ein Land, in das ich reisen wollte, gefallen, nahm ich sofort auch ein Rückflugticket, mietete vor Ort ein Auto und fuhr sieben bis zehn Tage durch vorher ungefähr recherchierte Gebiete. Ich hatte jedesmal eine Digitalkamera dabei, einen Laptop, ein Stativ, eine Hasselblad. Abends im Hotel hieß es dann stets Bilder von der Kamera auf den Computer zu überspielen, zu sortieren und auf CD zu brennen. Wichtiges Kriterium bei der Zimmersuche war deshalb, ob ein Steckdose vorhanden war. Weiterhin war eine gute, nicht zu alte, Landkarte unentbehrlich.